10. Türchen
Mit freundlicher Genehmigung der Autorin Dagmar Finger
Max fiel vom Himmel
Es war kein richtiges Fallen oder Fliegen. Eher als schwebte er langsam
nach unten. Max wunderte sich drüber, denn die anderen Sterne hatten ihn
heftig geschubst. Und so war er über die Himmelskante gefallen. Es war
auch kein Versehen, nein es war extra, also absichtlich gewesen.
»Lerne erst einmal, ein richtiger Weihnachtsstern zu sein, dann kannst du hier
oben mitreden. « Hatten sie gesagt, die großen Sterne. Ihn dann an den
Rand des Himmels gebracht.
Aber er traute sich nicht, war zu ängstlich. Wer springt auch freiwillig ins
Nichts? Und da haben sie ihn eben einfach geschubst.
Von oben sah alles sehr klein, ja fast winzig aus, doch je näher er der Erde kam, umso größer wurden die Dinge
Hell erleuchtete Fenster und das grelle Licht vieler Straßenlaternen,
Lichtpunkte, die überall hin- und herfuhren, rot-gelbe und grüne Punkte,
die im Dunkeln blinkten, zeigten den Weg zu den Menschen
»Bald ist Heiligabend. Das ist für dich eine gute Gelegenheit, endlich ein
Weihnachtsstern zu werden. Deine Aufgabe ist es zu leuchten, ganz hell
zu leuchten. Alle Sterne strahlen und zu Weihnachten ganz besonders hell
an einem Tannenbaum. Schau dich an, ganz trübe bist du, und auch noch
zu klein geraten. Dich sieht man ja kaum. Versuch dein Glück auf Erden.
«.
Das hatten sie noch hinterher gerufen und gelacht. Ja, er war nun mal ein
wenig anders als die anderen. Klein, blass, etwas trüb. Ihn störte das
nicht. Warum nur machten
die andereneinen aber auch immer das Leben so schwer, dachte er und seufzte leise.
Das Schweben gefiel ihm, es fühlte sich leicht und frei an. Je nachdem, auf
welche Seite er sein Gewicht verlagerte, schwebte er mal nach rechts,
dann wieder nach links, nach oben und nach unten. Er wurde sogar so
mutig, dass er es im Kreis herum versuchte. Soviel Spaß hatte er lange
nicht mehr gehabt. Schön war es, aber auch anstrengend.Ein Fenster im
dritten Stock eines hohen, geraden Hauses war geöffnet. Eine Kerze stand
innen auf der Fensterbank, und flackerte ein wenig durch den Luftzug.
Die bunt gemusterte Gardine war zurückgezogen und die Kälte waren die
Fenster beschlagen. Max konnte jedoch so eben Atemwölkchen erkennen.
Jemand saß am Fenster.
Ein guter Landeplatz, dachte er und hatte gerade noch genug Kraft, sich an der Außenkante der Fensterbank festzuhalten.
Ein Mädchen schaute ihn erstaunt und etwas erschrocken an. Ihr Mund formte
ein Ohhhh. Und in ihren Augen schimmerte das Kerzenlicht wie kleine
Juwelen. Ihre Haare waren gelockt und standen wuschelig vom Kopf ab. Sie
trug ein rosa Nachthemd mit Schäfchen darauf. Max fand sie wunderschön.
»Hallo«, sagte er leise und musste sich vorher etwas räuspern, hatte er doch nie
zuvor mit einem Menschen gesprochen. Er schwieg sowieso lieber. Mit wem
sollte er auch groß reden? Und dann noch einmal etwas lauter »Hallo«.
Das Mädchen wollte gerade etwas sagen und ihm ihre schmale Hand entgegenstrecken, da rief eine schrille Stimme aus dem Zimmer
»Rea, wie oft soll ich es dir noch sagen? Mach das Fenster zu! Bitte. Es
zieht. Warum nur kannst du nicht aufhören in die Nacht zu starren. Was
siehst du da eigentlich? «
»Sterne«, sagte Rea gerade, als die Fensterscheiben mit einem Knall geschlossen
wurden, das Kerzenlicht ausging und Rea hinter der gerade zugezogenen
Gardine verschwand. Jetzt formte Max ein Ohhhh mit seinem Mund und
rutschte vor Schreck von der Fensterbank.
Er fiel und fiel diesmal …. immer schneller ... und landete mit einem schmerzhaften Aufprall auf dem Gehsteig vor dem Haus.
Und weil das Schicksal es so wollte, rannten die ersten großen Füße einfach
über ihn hinweg. Manche trafen Max schon mal am Zackenrand oder in der
Mitte. Ein junges Pärchen trampelte sogar auf ihm herum, als es sich die
Füße wärmte.Weil er so klein war übersahen ihn viele, und Menschen
verschmutzten ihn noch mehr,indem sie auf ihm herumtrampelten.
Denn es gab schon den ersten Schneematsch auf der Straße.
Mit letzter Kraft schaffte er es, sich bis zur Hausecke zu bewegen. Dort blieb er schwer atmend liegend.
Aus den Augen kullerten Tränen. Sie wischten einen der winzigen Zacken
sauber. Doch das bemerkte Max nicht mehr. Vor lauter Erschöpfung und
Kummer schlief er ein.
Das Haus mit dem Fenster im dritten Stock gehörte Reas Eltern. Rea war fünf
Jahre alt und wohnte dort mit ihnen allein. Sie hatte es nicht immer
einfach, denn die Eltern waren sehr streng mit ihr. Spaß gab es nicht
oft. Da beide Eltern zur Arbeit gingen, kam sich Rea oft einsam vor.
Gegen Abend am Fenster zu stehen und zu den Sternen zu schauen, das
machte sie gerne. Sie nannte es immer Gedanken auf die Reise schicken
Heute Morgen, so hatte die Mutter gesagt, gibt es viel zu erledigen. »Trödle
nicht schon wieder herum. «Deshalb gingen sie nun gemeinsam aus der
Haustüre.
Es war ein sonniger, wenn auch kalter Tag und Rea trug zum ersten Mal ihr
Mütze und die passenden Handschuhe dazu. Die Füße steckten in
gefütterten Stiefel in Rosa. Was sonst?
Als sie gerade im Ausgang standen, blinkte etwas an der Hausecke. Ein
Sonnenstrahl hatte sich dorthin verirrt, und es war so, als zeigte er
auf einen kleinen hellen Fleck, der dort im Schmutz lag.
Rea ging hin und bückte sich neugierig, um das schmutzige Teil aufzuheben.
»Lass das fallen, wir heben nichts vom Boden auf, wie sehen denn jetzt die
Handschuhe aus. Rea also wirklich! Noch sind wir keine Minute aus der
Türe und du bist schon ein Schmutzfink. Ich weiß gar nicht was ich noch
mit dir machen soll. Komm jetzt endlich! «
Rea gelang es noch, das Teil in die Manteltasche zu stecken, da zerrte ihre Mutter sie auch schon weiter.
Es gab wirklich jede Menge zu besorgen, nur nicht für Rea. Immer dann,
wenn sie in der langen Schlange vor den Kassen warten musste, rieb sie
mit dem Handschuh an dem Teil
Dadurch bekam es einen schimmernden Glanz, nur der Handschuh sah nicht mehr so
neu aus wie noch am Morgen.Stunden später kamen sie zurück.
Rea durfte auf ihr Zimmer. Das schimmernde Teilchen hatte sie versteckt in der Hand mitgenommen und legte es nun auf ihr Bett.
Sie erkannte, dass es der kleine Stern von gestern Abend war und schubste ihn an.
»Na du ? Bist du ein echter Stern? «
Max öffnete die Augen und erblickte Rea. Sie sah so wunderschön aus mit dem neugierigem Blick und den rosa Wangen
»Ja, ich bin ein echter Stern vom Himmel da oben ...«, eine seiner Zacken
zeigte zur Decke. »Ich bin Max. Weil Weihnachten ist, hab’ ich die
Aufgabe, ein leuchtender Stern am Tannenbaum zu sein. Doch für mich ist
die Aufgabe zu schwer. Schau, ich strahle nicht, ich bin trüb und viel
zu klein. Er schämte sich fast für sein Aussehen. «
»Ich hab dich geputzt, du siehst schon viel sauberer aus«, meinte Rea und hob ihn hoch ins Licht.
»Ich könnte dich noch ein wenig mit Spucke bearbeiten, dann siehst du noch
besser aus. Papa macht das auch immer, wenn er irgendwo einen Fleck hat.
«
»Mit Spucke? Ist das wirklich eine gute Idee? «, fragte Max doch sehr verwundert.
»Warum nicht? Wir können es versuchen. «
Von nun an wurde Max jeden Abend geputzt. Tagsüber lag er unter dem Bett,
damit Reas Mama ihn nicht fand. Rea putzte und wischte, spuckte, wischte
und putze. Die ganzen drei Tage bis Weihnachten.
Und endlich war der Heilige Abend da
Reas Zappeln und Fragen, wie lang noch, nutzte alles nichts. Erst als die
Glocken sechs Mal anschlugen, riefen Mama und Papa sie ins
Weihnachtszimmer.Mitten im Raum stand ein prächtiger Weihnachtsbaum.
Bunte Kugeln schmückten ihn und silbernes Lametta. Auf der Spitze saß
ein großer goldener Stern. So groß, dass er fast bis an die Zimmerdecke
reichte.
Bevor das Glöckchen klingelte, damit die Geschenke ausgepackt werden konnten, ging Rea auf den Baum zu.
Sie hängte den Stern an eine Stelle, die sie gerade noch auf Zehenspitzen stehend erreichen konnte.
Dann trat sie zur Seite und betrachtete ihn. Durch das viele Reiben und
Rubbeln war er glänzender und strahlender als je ein Stern zuvor. Wenn
er dazu noch in Reas Augen blickte, so schien es, als würde sein
Leuchten schon fast ein Glühen sein.
»WAS ist DAS denn? «, fragten die Eltern entsetzt. Rea zuckte mit den
Schultern und antwortete. Das? Das ist Max er fiel vom Himmel. «
Nie hat ein Stern schöner am Weihnachtsbaum geglänzt, nie ein Stern strahlender an einem Baum gehangen als Max an diesem Abend.
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